Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative

Die Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative ist ein Zusammenschluss von über 20 Städten und Landkreisen und zahlreichen weiteren Akteuren. Sie steht für Konzept und Praxis Kommunaler Koordinierung bei der Gestaltung der Übergänge Schule – Arbeitswelt „vor Ort“.  Die Arbeitsgemeinschaft sieht für sich zwei zentrale, miteinander eng verbundene Aufgaben: sich „anwaltschaftlich“ für die Anerkennung von Kommunaler Koordinierung und gute und förderliche Rahmenbedingungen einzusetzen, und die fortlaufende Verbesserung der lokalen Praxis zu unterstützen.

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„Wenn wir nichts tun, gibt´s richtig Probleme – also was tun?“

Stuttgart, 29.06.2019

Beitrag vom 29.06.2019 zum „Fachtag – Digitale Arbeitswelten verändern das Leben in der Stadt“ in Stuttgart von Heiner Bernhard, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft „Weinheimer Initiative“ und Oberbürgermeister der Stadt Weinheim von 2002 bis 2018


A. Einleitung:

Dieser Dank gilt vor allem Günter Buck von der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit, der die Hauptverantwortung dafür trägt, dass ich seit einigen Wochen wegen der Vorbereitung auf diesen kleinen Vortrag meinem Pensionärs Dasein einen anderen Inhalt geben musste.

Günter Buck ist auf den Jahresforen der Arbeitsgemeinschaft „Weinheimer Initiative“ schon seit Jahren ein immer wieder gern nachgefragter Referent und kritischer Freund. Schon deshalb konnte ich seine Bitte, hier zu Ihnen zu sprechen, nicht abschlagen.

Dr. Wilfried Kruse, der wissenschaftliche Koordinator der AG ist auch hier. Sie sehen, es besteht ein intensiver Austausch.

 

 

B. Haltung zur Digitalisierung

 

Günter Buck hat auch den Titel meines Vortrags vorgeschlagen. Ich habe mich nicht dagegen gewehrt. Vielleicht hätte ich es tun sollen. „Wenn wir nichts tun, gibt´s richtig Probleme – also was tun?“ Irgendwie klingt mir das zu panisch. Es fehlt eigentlich nur noch ein „Oh Gott, oh Gott!“ oder ein „Himmel hilf!“. Für so schlimm hielt ich die Lage schon bisher nicht. Und nach den Recherchen für diesen Vortrag hat sich meine Meinung eher noch gefestigt.

Die Fragestellung soll natürlich aufrütteln; soll alle diejenigen zum Jagen tragen, die noch nicht begriffen haben, dass – wie es im Veranstaltungsflyer heißt – „die Neugestaltung der Beziehungen zwischen digitalisierten Arbeitswelten und der Zukunft der kommunalen Stadtentwicklung …eine besondere Herausforderung“ darstellt.

Es stimmt: Alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens, alle Akteurinnen und Akteure auf welchen Feldern der Arbeit und des Lebens auch immer, müssen sich mit der neuen Welt 4.0 beschäftigen. Wir müssen begreifen, um was es geht, müssen verstehen, was Digitalisierung kann, welche Potentiale diese Technologie hat und welche Gefahren von ihr ausgehen. 

Dabei sollten wir keinesfalls durch eine rosarote Brille schauen! Wer aber überwiegend schwarz sieht und Angst hat, der verkrampft, der starrt wie das berühmte Kaninchen auf die Schlange. Und in dieser Haltung fehlt der klare Blick, der notwendig ist, um die richtigen Entscheidungen zu treffen und zukunftsfähig zu handeln.

In der gesellschaftlichen und medialen Diskussion um die Digitalisierung scheint mir allerdings oft diese ängstliche Haltung vorzuherrschen. Das muss sich ändern.

 

Da gefällt mir eine Stelle im Veranstaltungsflyer gut, wo es heißt: „Hier ist eine selbstbewusste, gestaltende Antwort der Zivilgesellschaft notwendig. Alle Bürgerinnen und Bürger sind betroffen und eingeladen, sich an der Gestaltung dieses Wandels zu beteiligen.“         

Genau darum geht es, meine Damen und Herrn. Und hierfür gibt es schon gute Beispiele in der kommunalen Landschaft Deutschlands. Wenn auch noch nicht in jeder Stadt pro aktiv und gestaltend gehandelt wird: die Entwicklung ist kraftvoll angeschoben.

 

C. Wie verändern digitale Arbeitswelten das Leben in der Stadt?

 

Die überwiegende Zahl der Studien zur zukünftigen Entwicklung der gesamten Arbeitswelt geht davon aus, dass die digitale Umwälzung mehr Arbeitsplätze schaffen wird, als durch sie wegfallen werden.

Aber: Das werden natürlich neue Arbeitsplätze sein, die andere Anforderungen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellen als die alten. Andere, in der Regel höhere Qualifikationen werden erforderlich sein. 

Hieraus erwachsen zwei Gefahren:

- ein Teil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer droht auf der Strecke zu bleiben, also arbeitslos zu werden und

- es werden nicht ausreichend Arbeitskräfte für die neu geschaffenen Jobs zur Verfügung stehen.

 

Diese Risiken bestehen für die gesamte Volkswirtschaft, auch für die Kommunalverwaltungen

Überall werden alte Arbeitsplätze wegfallen und digital kompetente Arbeitskräfte fehlen.

Und weil das Leben in den Kommunen stattfindet, wird beides auch Einflüsse auf städtisches Leben haben.

 

 

 

 

 

  1. Deshalb braucht unser Land eine umfassende Umschulungs- und Weiterbildungsinitiative.

    Wenn das, was die Bundesregierung am 12. Juni als ihre Nationale Weiterbildungsstrategie verkündet hat, konsequent umgesetzt wird, besteht die Hoffnung, dass wir schneller erfolgreich sein werden, als ich dies bisher für möglich gehalten hatte.

    Wir brauchen kein bedingungsloses Grundeinkommen.

    Was wir brauchen, ist eine neue Weiterbildungskultur in Deutschland, die Weiterbildung als selbstverständlichen Teil des Lebens versteht.

    Alle Erwerbstätigen müssen dabei unterstützt werden, ihre Qualifikationen und Kompetenzen im Wandel der Arbeitswelt weiterzuentwickeln.

    Wenn wir die Chancen des digitalen Wandels nutzen wollen, muss Deutschland konsequent in Qualifizierung und Weiterbildung investieren. Das ist der Dreh- und Angelpunkt, um die Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmern zu erhalten und damit Arbeitslosigkeit zu verhindern und gleichzeitig die Fachkräftebasis zu sichern.

    Schulen, Betrieben, Verwaltungen und gewerkschaftlichen Fortbildungseinrichtungen sowie solchen der Industrie-, Handels- und Handwerksklammern, alle werden ihren Beitrag leisten müssen. Dieser Fachtag tut es übrigens dankenswerterweise auch.

    Darüber hinaus werden die Volkshochschulen hierbei eine bedeutsame Rolle spielen. Und hier sind die Kommunen gefragt, räumlich und personell, also letztlich finanziell  wirksam zu unterstützen.

  2. Die Kommunen müssen das in ihrer Macht stehende tun, um die Abgehängten aufzufangen

    Wie gesagt: nicht alle freigesetzten Arbeitskräfte werden in die neu geschaffenen Arbeitsplätze überführt werden.
     
    Man denke nur an Szenarien, wonach denen infolge der zunehmenden Autonomen Mobilität in ein bis zwei Jahrzehnten ein großer Teil der Taxi- und LKW-Fahrer nicht mehr benötigt werden. Wer das für Spinnerei hält, sei daran erinnert, dass es vor 12 Jahren noch kein Smartphone gab. Es kann alles schneller kommen als wir das heute für möglich halten.

    Als Pragmatiker habe ich zwar trotzdem meinen LKW-Führerschein verlängern lassen. Als Realist gehe ich aber davon aus, dass es – Weiterbildungsstrategie hin oder her – bei der Digitalisierung der Arbeitswelt Abgehängte geben wird. Um die muss sich – im Sinne einer Lokalen Verantwortungsgemeinschaft – auch – die Stadt kümmern, in der diese Menschen schließlich leben. 

  3. Stichwort: Rückgang der Sozialkontakte

    Mit zunehmender Digitalisierung der Arbeitswelt werden die Sozialkontakte bei der Arbeit abnehmen.
    Das wird – wie bisher schon – durch Verstärkung der Automatisierungsprozesse geschehen, aber auch durch eine Zunahme der Telearbeit. Home-office-Jobs werden ebenso häufiger werden wie Video-Konferenzen, Tele-shopping, Tele-Medizin und Tele-learning.

    Die Städte müssen sich deshalb verstärkt um die Schaffung von Begegnungsmöglichkeiten kümmern. Die Verbesserung der Aufenthaltsqualität in den Innenstädten gehört hier ebenso dazu, wie die Aktivierung der Stadtgesellschaft, auch durch Unterstützung des Ehrenamts im sozialen, sportlichen und kulturellen Bereich.

  4. Zwischen-Fazit:
    Alles Leben findet in der Kommune statt.
    Die veränderten digitalen Arbeitswelten werden deshalb nicht ohne Auswirkungen auf das Leben in der Stadt bleiben.

    In den Gemeindeordnungen gibt es den Grundsatz der kommunalen Allzuständigkeit. Auch wenn den Kommunen echte Stellschrauben für Veränderungen in Industrie und Wirtschaft fehlen, so sind sie doch aufgerufen, die Veränderungsprozesse so zu begleiten, dass ihre Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, an diesen Prozessen gestaltend teilzuhaben.

    Wir brauchen deshalb eine kommunale Strategie für das Thema Digitalisierung; eine Strategie zur Aufklärung über das Thema und zur Entwicklung eines Rahmens, innerhalb dessen sich diese Teilhabe vor Ort entwickeln kann. 

 

 

 

 

 

D. Kommunen sind bereits aktiv –  aber längst nicht alle

 

Städte und Gemeinden haben die immensen Potenziale der Digitalisierung erkannt. 91 Prozent der Kommunen schätzen den Mehrwert der digitalen Veränderungen als hoch oder sehr hoch ein. Dies ist ein Ergebnis der schon Anfang 2018 durchgeführten Befragung „Zukunftsradar Digitale Kommune“.

 

Hier warten aber gewaltige Aufgaben auf die Städte und Gemeinden in Deutschland. Um den Anschluss nicht zu verlieren, muss die digitale Transformation schnell und mit gezielten Maßnahmen angegangen werden. In der nächsten Zeit gilt es vor allem, die Digitalisierung in den Kommunen als strategisches Thema zu etablieren.

Das ist noch nicht flächendeckend geschehen.

Vielerorts herrscht noch Skepsis angesichts der kommenden Aufgaben. Viele Kommunen fühlen sich nicht ausreichend auf die Digitalisierung vorbereitet. Ein Drittel bewertet ihren Digitalisierungsstand als schlecht oder sogar sehr schlecht. Es besteht also ein hoher Bedarf an zusätzlichem Wissen.                                      

Wir brauchen Vernetzung zwischen den Kommunen, zusätzliche Beratung und neue Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote. Dem müssen die kommunalen Spitzenverbände gemeinsam mit Bund, Ländern und der Wirtschaft Rechnung tragen.

Aber auch die Städte und Gemeinden selbst müssen ihre Hausaufgaben erledigen. Ein ganzheitlicher strategischer Ansatz, bei dem die Digitalisierung bereichsübergreifend vorangetrieben wird, ist aktuell noch eher die Ausnahme.
 

 

E. Zwischenergebnis: Es muss noch viel geschehen, um die Idee der Digitalisierung ins Land zu tragen und angemessen auf die Veränderungen zu reagieren und sie mitzugestalten. 

Und das gilt nicht nur für Baden-Württemberg. Deutsche Städte liegen in der EU zurück. Der Bitkom-Referenten für Smart City & Smart Region, Strehmann, stellt fest: „In anderen Ländern herrscht mehr Aufbruchstimmung“.

Die Metropolen Barcelona, Amsterdam, Kopenhagen und Wien haben nach Einschätzung von Strehmann beim Einsatz von Technologien und Innovationen im Leben der Städte europaweit die Nase vorn. Warum ist das so?

 

F. Hindernisse 

Woran es in Deutschland in der Fläche teilweise noch fehlt, ist zunächst das notwendige Know-how (s.o.).             

Den größten Handlungsbedarf sehen die Kommunen allerdings beim Thema Breitbandausbau, bei der Frage der Finanzierung bevorstehender Aufgaben und bei der Personalausstattung

Meine Damen und Herrn, das Nichtvorhandensein einer nationalen Strategie zum Ausbau der Breitband-Verkabelung in den letzten drei Jahrzehnten ist ein echtes Armutszeugnis für unser Land. Wie auf anderen Feldern auch zeigt sich hier signifikant, wie falsch es war und ist, zu glauben, das regle der Markt.

 

 

G. Als Hausaufgaben für die Kommune halte ich folgende Verfahrensschritte für erforderlich: 

 

  1. Politische Entscheidung im Gemeinderat, die da lautet: „Wir machen uns auf den Weg zur digitalen Kommune“.

  2. Muss eine strategische Stabsstelle geschaffen werden, die sich mit den notwendigen, aus der Digitalisierung erwachsenen Maßnahmen beschäftigt („Chief Digital Officer“). Und wir brauchen den Einsatz von „Digitalisierungs-Lotsen“, die das Thema innerhalb und außerhalb der Verwaltung als Helfer und Multiplikatoren begleiten.

  3. Bedarf es der Erarbeitung einer „über die Rathaustür hinaus gehende“ Digitalstrategie. (Eine solche Strategie „Digitale Stadt“ umfasst mehr als die bisherigen E-Government- und IT-Strategien, die sich auf die Effizienzsteigerung der Verwaltung und die Schnittstelle zu bestimmten Gruppen von Verwaltungskunden konzentriert haben).

  4. Schließlich sind Beteiligung und Kommunikation die zentralen Querschnittsaufgaben, ohne die es kein Digitalisierungskonzept geben kann, schon gar nicht in einer Kommune.

 

 

 

 

Bei 3. und 4. muss die Stadtgesellschaft eingebunden werden, also Betriebe und Schulen, VHS, Bürgerstiftungen, Kirchen, Vereine etc.

Beispiel Wien (Preis der Stiftung „Lebendige Stadt“ 2018)

Der Best-practice-Charakter der Digitalen Agenda Wien liegt im offenen und partizipativen Charakter ihrer Entstehung. Alle WienerInnen waren eingeladen, ihre Ideen, Meinungen und konkreten Vorschläge einzubringen und so die Digitale Zukunft Wiens mitzugestalten. Die Öffnung von Entscheidungsprozessen ist für die Stadt Wien nicht nur eine zunehmende Notwendigkeit – die Mitsprache der BürgerInnen schafft auch einen Mehrwert, der sicherstellt, dass Wien fit für die digitale Zukunft bleibt. 

H. Ich will nun die sechs wichtigsten Themenfelder der Digitalisierung benennen, bei denen kommunale Handlungsnotwendigkeiten bestehen

 

In den Ausschreibungsunterlagen zum Wettbewerb „Digitale Stadt“ heißt es: „Lange Wartezeiten auf dem Amt oder beim Arzt, Staus oder Verkehrsunfälle, Lärm und Abgase oder die Sorge vor Kriminalität erleben die Bewohner größerer Städte jeden Tag. Digitale Technologien können dazu beitragen, die Herausforderungen wachsender Städte zu bewältigen. Beispiele sind eine intelligente Verkehrslenkung, digitale Bürgerämter oder die Online-Vergabe von Facharztterminen, die bereits in Städten wie Stockholm, Wien, London oder Santander zum Einsatz kommen.

 

 

Es geht um:

  1. eine Serviceverbesserung für die Bürgerschaft
  2. Effizienzsteigerung bei der Verwaltung
  3. Kommunales Handeln auf dem Bildungssektor 
  4. Sicherheit
  5. Mobilität
  6. Einzelhandel

 

 

 

  1. Zunächst geht es um eine Serviceverbesserung für die Bürgerschaft

    Mit Hilfe von digitalen Weiterentwicklungen kann der Service der Stadtverwaltung weiter verbessert und der Zugang für Bürgerinnen und Bürger zu Verwaltungsdienstleistungen unter anderem über digitale Assistenzsysteme erleichtert werden. Die Angebote der städtischen Verwaltung im Internet werden ausgebaut, Apps und mobile Anwendungen werden angeboten, mit Hilfe derer Bürgerinnen und Bürger Handlungsnotwendigkeiten melden können. Zudem muss geprüft werden, welche Behördendienstleistung ohne das persönliche Erscheinen möglich ist und deshalb auch über das Internet angeboten werden kann.
    Gleichzeitig ist aber sicherzustellen, dass Online-Angebote nicht den persönlichen Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen verhindern.

  2. Effizienzsteigerung bei der Verwaltung

    Zugleich sollen Routineaufgaben für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung in Zukunft noch mehr automatisiert werden. Das ermöglicht den Beschäftigten mehr zeitlichen Spielraum, um sich verstärkt um zeitintensivere Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger kümmern zu können. Durch die Nutzung neuer digitaler Möglichkeiten entsteht so ein Gewinn für Bürgerinnen und Bürger und die Beschäftigten gleichermaßen.

  3. Kommunales Handeln auf dem Bildungssektor

    Wir in den Städten und Gemeinden müssen die Chancen der Digitalisierung für Wirtschaft, Beschäftigung und gute Arbeit nutzen. Dafür müssen wir aber auch die Sorgen um Arbeitsplatz- und Qualifikationsverlust, Arbeitsverdichtung und Entgrenzung, auch die Kluft zwischen Menschen, die Freiheit und Flexibilität als Verheißung sehen und solchen, die vor allem Stabilität und Sicherheit wünschen, ernst nehmen.

    Damit wird eine Entwicklung noch an Gewicht gewinnen, die schon seit dem Beginn der forcierten Automatisierung zu beobachten ist:
    Das ist die Fähigkeit, mit solchen Veränderungen umzugehen, ohne ihnen passiv ausgeliefert zu sein und/oder sich ihnen ausgeliefert zu fühlen. Diese Fähigkeit wird immer wichtiger und muss in Bildung und Berufsbildung zentral werden.

    a) Als Schulträger

    Im Bildungsbereich ist die Stadt nicht der zentrale Player, aber ein immens wichtiger, vor allem als Schulträger. Der digitale Wandel kommt in der Schule nur schleppend voran. Zudem ist die Debatte oft auf Ausstattungs- und Technikfragen verengt. Dabei muss klar sein: Digitalisierung ist mehr als das Zur-Verfügung-stellen technischer Ausstattung.

    Es sind und bleiben pädagogische Entscheidungen: „Was gebraucht wird und was nicht?“ und „Wie das Angebot und die technische Ausstattung gestaltet werden sollen?“ Dass in der Schule, in der Berufsbildung und auf der Hochschule der Primat der Pädagogik gilt, muss weiterhin selbstverständlich bleiben.

    Die Stadt als Schulträger braucht allerdings ein Digitalisierungskonzept, das festlegt, wie der Medieneinsatz aussehen kann. Die Stadt Weinheim hat z.B. 2018 durch GR-Beschluss bestimmt, wie sie den Medieneinsatz an ihren Schulen organisieren will.

    b) Auch als Träger der Volkshochschule ist die Stadt gefordert.

    Die VHS ist zunächst wichtige Akteurin bei der notwendigen Aufklärungskampagne, bei der Schaffung einer Atmosphäre und der Entwicklung eines Rahmens, innerhalb dessen sich Teilhabe vor Ort entwickeln kann. 

    Im Rahmen der Nationalen Weiterbildungsstrategie werden die Volkshochschulen eine bedeutsame Rolle spielen. Hier sind die Kommunen gefragt, räumlich und personell, also letztlich finanziell zu unterstützen.

    c) Exkurs: Über die Kommunale Koordinierung der Bildungsprozesse am Beispiel der Arbeitsgemeinschaft „Weinheimer Initiative“

    Die Arbeitsgemeinschaft hatte 2017 ihr Jahresforum unter die Überschrift gestellt: „Von der Schule in die Arbeitswelt 4.0: Risiken und Chancen für einen gelingenden Übergang“. Seit 2018 gibt es eine Erklärung unserer Facharbeitsgruppe „Digitalisierung und Bildung“ mit dem Titel „Kommunales Bildungsengagement für eine sozial gestaltete digitale Arbeits- und Lebenswelt“. Und im Februar dieses Jahres fand in Hannover unser Fachtag „Didaktik der Digitalisierung: Zusammenarbeit vor Ort“ statt.
    Sie finden umfangreiche Materialien zu den jeweiligen Veranstaltungen auf unserer Homepage www.kommunale-koordinierung.de.

    Am Ende dieses Bildungs-Kapitels vielleicht noch eine weitere Leseempfehlung:

    Der Rat für Kulturelle Bildung hat sich Anfang des Jahres in einer Erklärung mit dem Titel „Alles immer smart“ zur Digitalisierung positioniert und darin „Impulse und Empfehlungen für Schule und Politik“ gegeben.

  4. Zum Thema Sicherheit

    Die objektive Sicherheitslage und das subjektive Sicherheitsgefühl sind Grundlagen der Lebensqualität. Hier kann die Digitalisierung wichtige Beiträge leisten.

    Ich durfte in meinem früheren Leben mal acht Jahre lang das Amt für öffentliche Ordnung der Stadt Heidelberg leiten. Damals gab es dort einen „Kriminalitätsatlas“. Alle angezeigten Straftaten im Stadtgebiet wurden digital erfasst. So konnten die regionalen Schwerpunkte der einzelnen Delikte und Deliktgruppen auf dem Stadtplan visualisiert werden. Ein gutes Hilfsmittel bei der Bürgerinformation und –beteiligung.

    Sie alle kennen Albus Dumbledore. Kennen Sie auch seinen Deluminator? Auf den ersten Seiten von „Harry Potter und der Stein der Weisen“ knipst er damit die Straßenbeleuchtung aus. Diese Zauberei wird in Zukunft nicht nötig sein. Der bedarfsgerechte Einsatz über eine App auf dem Smartphone ist möglich – im Dorf Löwenstedt in Schleswig-Holstein. 12 Minuten nach dem individuellen Einschalten geht die Straßenbeleuchtung wieder aus. Eine gute Kombination aus Sicherheit und Energiebewusstsein.

    Polizeipräsidium und Stadt Mannheim erproben gerade eine neue Generation der Videoüberwachung. Die Software identifiziert untypische Bewegungsmuster und alarmiert die Einsatzkräfte, wenn sie bspw. Bewegungen erkennt, die sie als Schlagen deutet.

    Andere Länder, andere Sitten.
    Natürlich sind in einem Überwachungsstaat im Zeitalter der Digitalisierung noch ganz andere technische Möglichkeiten gegeben. In den USA, in Großbritannien, aber auch in osteuropäischen Staaten geschieht bereits seit Jahren, was bei uns aus Rechtsgründen nicht möglich wäre. Von dem Sozial-Bonus-System in der Chinesischen Volksrepublik ganz zu schweigen. 

  5. Zum Thema Mobilität

    Ein Ziel hierbei ist es, Systeme zu entwickeln, die die Verkehrslage in der Stadt sekundengenau erfassen. Eine vernetzte Infrastruktur aus Ampeln, Autos, Parkhäusern und öffentlichem Verkehr soll das Leben bequemer, sicherer, generationengerechter und umweltfreundlicher machen.
    DER SPIEGEL hat Chancen und Risiken dieser Entwicklung in seiner Nr. 19 vom 4.5.2019 sehr anschaulich dargestellt. Gleiches gilt für den YouTube-Vortrag zum Thema auf der Heidelberger Website.

    Ohne in Verkehrssysteme direkt einzugreifen, wird Digitalisierung verkehrsreduzierende Wirkung entfalten – durch zunehmende Home Office Jobs also durch Telearbeit, durch Tele-Medizin, -Banking und Learning.

    Es wird ganz sicher eine bessere Lenkung der Verkehrsströme möglich sein. Durch das sog. Conected Driving Car to Car können Staus und Unfälle vermieden, die Parkplatzsuche erleichtert und energiesparendes Konvoi-Fahren von LKW ermöglicht werde.

    Pooling“ nennt man die Vernetzung verschiedener Verkehrsträger. Die schnellste oder die bequemste oder die landschaftlich interessanteste Strecke wird dem Nutzer vorgeschlagen, als Kombination z.B. von Fahrten mit der Bahn, dem Bus und dem neuen E-Roller. Da und dort existieren diese Möglichkeiten der Multimobilität schon. Von Seiten der Verkehrsträger werden hier die Potenziale als riesig angesehen.

    Sicher scheint zu sein: Das private Auto wird dramatisch an Bedeutung verlieren. In Wien beträgt der Anteil des PKW-Verkehrs am Modal Split nur noch 27%.

    Es ergibt wirtschaftlich eben keinen Sinn, sich ein Auto zu kaufen, das 90% der Zeit ungenutzt rumsteht, wenn es bequeme Alternativen gibt. Carsharing Systeme werden immer mehr Raum einnehmen. Oder auch Dienste wie Uber, die keine eigenen Fahrzeuge haben, sondern nur den Zugang zu einem Fahrzeug als Leistung anbieten.

    City-Logistik per Lastenrad für Lieferdienste gibt es als Idee schon lange. Mit der Digitalisierung eröffnen sich hierfür –  über Pilotprojekte hinaus – bessere Realisierungschancen.

    In all diese Projekte müssen sich die Kommunen aktiv und steuernd einbringen. Wo stehen diese Fahrzeuge dann im öffentlichen Raum? Braucht es noch Parkhäuser? Ändert sich der Stellplatzbedarf bei Bauvorhaben? Gibt es wieder Platz für das Spielen von Kindern auf der Straße?
    Mit diesen Folgefragen müssen sich die Städte ebenfalls auseinandersetzen.

    Weiterhin stehen auf der „To-do-Liste“:
    - Bedingungslose Förderung des ÖPNV, (neue Fahrzeuge, größere Flächenabdeckung, angenehmere Aufenthaltssituationen),
    - Investition in bzw. Förderung von Vermietungs-/Sharing-Systeme für PKW, Fahrräder, E-Bikes, E-Roller,
    - Ausbau der Radwegeinfrastruktur,
    - ggf. bedarfsgerechte Umplanung städtischer Flächen.


  6. Zum Thema Einzelhandel 

    Bereits im Februar 2015 wurde in der Zeitschrift „WirtschaftsWoche“ eine digitale Attacke auf den deutschen Einzelhandel beschrieben:
    Ein Nassrasierer von Gillette, drapiert auf einer dicklichen schwarzen Plastikablage. Darauf ein blau leuchtender Knopf mit der Aufschrift „Order“. Stellt Mann morgens fest, dass der Vorrat an Rasierklingen zu Ende geht, genügt ein Knopfdruck. Tags darauf sollen neue Klingen im heimischen Briefkasten landen – bequem, schnell und ohne eigens einen Drogeriemarkt ansteuern zu müssen. Ein Funk Chip im Gehäuse macht es möglich.

    Seit Jahren verlagern sich Milliardenumsätze aus den Geschäften vor Ort – rein ins Netz, hin zu Amazon und Zalando, aber immer stärker auch in die Online-Shops von Markenherstellern.

    Während der stationäre Handel lahmt, glänzt das Online-Geschäft mit stürmischem Wachstum. Von 2004 bis 2015 hat sich der E-Commerce-Umsatz in Deutschland von 13 auf 39 Milliarden Euro verdreifacht. Bis 2025 wird sich dieser Wert dann nochmals verdreifacht haben. Ende nach oben offen.

    Der Online-Boom hinterlässt Spuren. Vor allem die Lokalmatadoren in Mittelstädten droht der digitale Sturm hinwegzufegen.

    Die Gegenwehr des lokalen Handels ist auch digital: Schlüssel dazu sind u.a. Sensoren in den Geschäften sowie spezielle Shopping-Apps für die Smartphones der Kundschaft. Über GPS orten sie den Standort des Nutzers. Mittels Bluetooth und der sog. Beacon-Technologie (sobald sich ein Smartphone-Besitzer den Beacons nähert, registriert das der Sender via Bluetooth Low Energy (BLE) und kann eine Nachricht an das Smartphone übermitteln) empfangen sie in den Läden seine Daten und schicken ihm Nachrichten. In verkaufsschwachen Zeiten locken Rabatte. Wer am Sektregal zögert, bekommt ein „Produkt-Stalking“: “Nur heute, nur für Sie: Champagner der Marke „Veuve Cliquot“ im Sonderangebot. PS: Herzlichen Glückwunsch zum Hochzeitstag!

    Ob solche Abwehrstrategien des Einzelhandels aufgehen, ist genauso vom Kundenverhalten abhängig wie der Online-Shopping-Angriff auf den lokalen Einzelhandel selbst.

    Die Kommunen sollten dafür die Daumen drücken, damit die Innenstädte attraktiv bleiben, das Parken von Lieferdiensten in zweiter Reihe und die illegalen Fahrten in Fußgängerzonen nicht weiter zunehmen.

    Wer mehr tun will, muss das ganze städtische Repertoire ausspielen, um eine Verödung der Innenstadt zu verhindern.

    Eine Studie des Instituts für Internationales Handels- und Distributionsmanagement der FH Worms hat 2015 im Auftrag der „WirtschaftsWoche die 585 deutschen Mittelstädte von 20 bis 100.000 Einwohnern auf ihre Zukunftsfestigkeit abgeklopft. Neben der lokalen Kaufkraft, Umsatztrends, Zentralität und demographischer Entwicklung spielten die Lebens- und Aufenthaltsqualität der Innenstädte, also auch ihre touristische Attraktivität, hierbei eine entscheidende Rolle.

    Bei der Beschreibung der 25 deutschen Top-Standorte heißt es dann im Ergebnis der Studie: „Neben Städten auf die der Boom nahegelegener Metropolen abstrahlt sind auch einige Solitäre in der Provinz wie Leutkirch im Allgäu oder Weinheim an der Bergstraße überraschend gut aufgestellt.

    Daraus folgt: ohne konsequentes Handeln im analogen Bereich, bei der klassischen Stadtgestaltung, bei der Schaffung von Aufenthaltsqualität, bei der Sorge um sichere Wege für Fußgänger und Radfahrer und der Etablierung bürgerfreundlichen  Verwaltungshandelns werden die besten Digitalisierungsstrategien keine schnellen Fortschritte bringen.

    Louis Lewitan (DIE ZEIT, Nr. 21, 19.5.2019) hat deshalb recht, wenn er feststellt:

    Der Mensch ist das Maß aller Dinge.
    Zwischenmenschliche Konflikte können nicht mit Algorithmen gelöst werden, und Avatare können Empathie allenfalls vortäuschen. Emojis ersetzen keine Anteilnahme.
    So betrachtet, ist die Erkenntnis des Sozialphilosophen Martin Buber heute aktueller denn je, und gilt auch für kommunale Handlungsnotwendigkeiten im Zeitalter der Digitalisierung:
    Alles wirkliche Leben ist Begegnung“.

Vielen Dank!


Sie können den Vortrag auch als PDF bei den Anlagen herunterladen.