Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative

Die Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative ist ein Zusammenschluss von über 20 Städten und Landkreisen und zahlreichen weiteren Akteuren. Sie steht für Konzept und Praxis Kommunaler Koordinierung bei der Gestaltung der Übergänge Schule – Arbeitswelt „vor Ort“.  Die Arbeitsgemeinschaft sieht für sich zwei zentrale, miteinander eng verbundene Aufgaben: sich „anwaltschaftlich“ für die Anerkennung von Kommunaler Koordinierung und gute und förderliche Rahmenbedingungen einzusetzen, und die fortlaufende Verbesserung der lokalen Praxis zu unterstützen.

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Kieler Erklärung 2012

Kiel, 29.02.2012

Fachkräfte & Kommunale Koordinierung:
Berufseinstiege lokal gut gestalten.

Kommunale Koordinierung bei der lokalen Gestaltung der Übergänge von der Schule in die Arbeitswelt: das ist das Markenzeichen der „Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative“ undder bei ihr mit arbeitenden Städte und Landkreise1. Übergänge sind dann erfolgreich, wenn die jungen Erwachsenen in der Arbeitswelt gut ankommen und sich ihnen optionsreiche Perspektivenfür ihre berufliche Zukunft eröffnen.

Nach mehr als einem Jahrzehnt, in denen viele Jugendliche mit ihrem Wunsch nach einem Ausbildungsplatz scheiterten, wird nun die Befürchtung laut, dass Ausbildungsplätze nicht zubesetzen seien und sich damit der befürchtete Fachkräftemangel verschärfe. „Niemand darf zurückbleiben“ als sozialpolitisches Motto der vergangenen Periode wird ergänzt oder ersetzt durch das Motto: „Jede und jeder wird gebraucht“. Diese Veränderungen lassen erwarten, dass sich die Chancen, die Jugendliche beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelthaben, verbessern.

Ein erweitertes Verständnis von Übergang und Koordinierung

Erledigt sich damit die kommunale Herausforderung, durch die Förderung und Gestaltung von Übergängen Zukunftssicherung für die jungen Menschen wie für das Gemeinwesen insgesamt zu betreiben? Die Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative sieht die Koordinierung am Übergang Schule – Arbeitswelt nicht als eine vorübergehende Aktivität an, sondern als eine Daueraufgabe.

Denn die Beziehung zwischen Bildungssystem und einer dynamischen und oftmals turbulenten Arbeitswelt unterliegt ständigen Veränderungen, die für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Bedarf nach Orientierung, Erkundung, Beratung und Unterstützung nach sich ziehen. Alle sind davon betroffen, wenngleich in unterschiedlichem Grade und mit unterschiedlichen Risiken.

Die Gestaltung des Übergangsgeschehens als arbeitsmarktnaher Bereich des lokalen Bildungssystems findet deshalb dauerhaft die besondere Aufmerksamkeit der Städte und Landkreise. Die Unterstützung derjenigen, die von besonderen Risiken betroffen sind, hathierbei Priorität.

Gerade vor dem Hintergrund des sich belebenden Arbeitsmarktes, des knapper werdenden„Reservoirs“ an Bewerberinnen und Bewerbern im „Dualen System“ und einer zunehmendenZahl frei bleibender oder nur schwer zu besetzender Ausbildungsplätze und der prognostiziertendemografischen Entwicklung wird sehr deutlich: Übergangsgestaltung darf nicht an oder vor der „1. Schwelle“ stehen bleiben. Sie muss die lang gestreckten übergangsbiografischen Verläufe ins Auge fassen. (Stichworte u. a.: Sicherung von Ausbildungserfolg und Einstieg in Arbeit nach Ausbildungsende).

Das „Lehrstück Übergang“ zwingt dazu, nicht nur Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Betrachtzu ziehen, sondern auch die Sicht der Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst.

Attraktivität & Qualität von Ausbildung sowie Fragen von Zugang, Gleichwertigkeit und Durchlässigkeitwerden so – aus beiden Perspektiven – zu zentralen Zielgrößen. Diese rücken auchin die kommunale Aufmerksamkeit, denn gelingende Einstiege in die Arbeitswelt waren und sind eine entscheidende Grundlage für die wirtschaftliche und soziale Zukunft der Städte und Landkreise.

Fachkräfteentwicklung

Die Arbeitsgemeinschaft plädiert für eine unaufgeregte und differenzierte Betrachtung der Fachkräfteentwicklung, unterstreicht aber zugleich, dass Fachkräftesicherung eine der entscheidendenkommunalen Standortfragen ist.

Daraus folgt, dass lokal ansetzende Arbeitsmarktpolitik auch präventiv ausgerichtet seinmuss und hierfür auch stabile Bezüge in den schulischen Sekundarbereich hinein, in engerKooperation mit der Wirtschaft, benötigt (Stichwort: weitere Öffnung der Schulen zur Arbeitswelt). Dabei ist allerdings eine Orientierung nur an kurzfristigen Erfordernissen des Arbeitsmarktes zu vermeiden. Vorrang muss Bildung haben, die sich zum Leben und zurArbeitswelt öffnet und damit zu einem gründlichen Aufbau von Berufsorientierung und Entscheidungsfähigkeit beiträgt. Zukunft ist vor allem vom individuellen und gesellschaftlichen Bedarf an Bildung her zu gestalten.

Diese beiden Perspektiven - Arbeitsmarkt und Bildung - im Zuge der Gestaltung der Übergänge Schule-Arbeitswelt miteinander zu vermitteln, stellt eine erhebliche Herausforderungdar – und eine wichtige kommunale Koordinierungsaufgabe vor Ort.

Berufseinstiege/ Ausbildung

Vor Ort findet Berufsausbildung heute in einer erheblichen Variationsbreite statt. Eine Berufsausbildungim „Dualen System“ hat nach wie vor einen herausragenden Stellenwert. Danebenhaben vollschulische Bildungsgänge an Gewicht gewonnen; Ausbildungsverbünde und verschiedene Mischformen sind entstanden. Für alle gilt: Der „Lernort Betrieb“ ist imRahmen sinnvoll gestalteter Lernortkombinationen unverzichtbar. Kein beruflicher Bildungsgang darf eine Sackgasse sein, sondern jeder muss einen qualifizierten und optionsreichen Einstieg in das Arbeitsleben ermöglichen.

Zweite und weitere Chancen des Wiedereinstiegs im Sinne des lebenslangen Lernens müssenmit bedacht werden. Städte und Landkreise sind aktive Partner einer zukunftsorientierten Beruflichen Bildung. Die Regionalen Beruflichen Kompetenzzentren erfahren durchkommunale Mitwirkung eine Aufwertung. Auch eine weitere Reform der Beruflichen Bildung insgesamt bedarf einer intensiven Kooperation.

Alle Orte der Ausbildung (wie der Weiterbildung) künftiger Fachkräfte sind zugleich Etappen individueller Bildungsgänge und Räume für wichtige Erfahrungen mit und in der Arbeitswelt,vor allem auch am „Lernort Betrieb“. Berufsausbildung und daran anschließende Fachtätigkeitmuss als eine attraktive Option für Jugendliche und junge Erwachsene erkennbar werden. Es braucht eine aktive Willkommenskultur, die nicht defizitorientiert ist, sondern die Stärken und Talente erkennt und fördert. Dies fordert die Betriebe in den verschiedenenEtappen der Berufsorientierung ebenso, wie es auch eine entsprechende Qualität von Betriebspraktika und Nachhaltigkeit jeglicher Ausbildung erfordert. In der Hoyerswerdaer Erklärung 2011 heißt es hierzu u. a.:

„Die Arbeitswelt steht den heutigen Generationen junger Leute fremder und weniger selbstverständlichgegenüber als ihren Eltern und Großeltern. Der starke Wandel in der Arbeitsweltund die im vergangenen Jahrzehnt massiv aufgetretenen Turbulenzen auf dem Arbeitsmarktführen auch dazu, dass es in der alltäglichen Lebenswelt der jungen Leute bei derVorbereitung auf den Übergang nicht mehr viel Anschauung dafür gibt, dass Facharbeit attraktivsein kann, Entwicklungschancen, eine Basis für berufliches Selbstbewusstsein undein befriedigendes Leben bieten kann. Dies auf eine Art und Weise deutlich und nachvollziehbarzu machen, die jenseits von Hochglanzwerbung ein positives, aber realistisches Bildvermittelt, ist eine zentrale Aufgabe.“

Kommunale Koordinierung

Das Aufgabenfeld erweitert sich: Die attraktive und qualitätsvolle Gestaltung der lokalen„Landschaft der Berufsausbildung“ wird nun ebenfalls zu einem Gegenstand „Kommunaler Koordinierung“. „Niemand darf zurück bleiben“ und „Jede/r wird gebraucht“ sind der Ausgangspunktdes kommunalen Engagements. Einer Bildungspartnerschaft mit den Ländern sowie einer vertieften Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit kommt dabei besondere Bedeutung zu. Auf der lokalen Ebene muss der Kreis der Kooperationspartner – wo noch nicht geschehen – ausgeweitet werden: Allgemein bildende Schulen müssen sich noch stärker der Arbeitswelt öffnen, den Einstieg in die beruflichen Biografien ihrer Schülerinnen und Schüler aktiv gestaltenund hierbei verstärkt mit Betrieben, Kammern, Unternehmensvereinigungen und Handwerkerschaften kooperieren. Die Förderung dieser Kooperationen wird künftig ein zentralesAufgabenfeld der Kommunalen Koordinierung sein. Dichte Abstimmungen zwischen bestehenden oder sich gründenden lokalen Bündnissen für Fachkräftesicherung und/oder Ausbildung und der Kommunalen Koordinierung sind ebensonötig wie engere Beziehungen zu den Ausbildungsausschüssen der Kammern. Kommunale Koordinierung und Berufsausbildung und deren Gremien hatten bisher zumeist wenig miteinanderzu tun. Dies muss sich ändern – von beiden Seiten.

Torsten Albig
Oberbürgermeister Landeshauptstadt Kiel

Heiner Bernhard
Oberbürgermeister der Stadt Weinheim (Bergstr)
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft

Stefan Skora
Oberbürgermeister der Stadt Hoyerswerda
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft

Dr. Wilfried Kruse
Koordinator

 

Fußnoten:

1. „Weinheimer Erklärung“ von 2007, siehe: www.weinheimer-initiative.de

2. Schwerpunktthema des Jahresforums 2011 Hoyerswerda, siehe www.weinheimer-initiative.de