Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative

Die Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative ist ein Zusammenschluss von über 20 Städten und Landkreisen und zahlreichen weiteren Akteuren. Sie steht für Konzept und Praxis Kommunaler Koordinierung bei der Gestaltung der Übergänge Schule – Arbeitswelt „vor Ort“.  Die Arbeitsgemeinschaft sieht für sich zwei zentrale, miteinander eng verbundene Aufgaben: sich „anwaltschaftlich“ für die Anerkennung von Kommunaler Koordinierung und gute und förderliche Rahmenbedingungen einzusetzen, und die fortlaufende Verbesserung der lokalen Praxis zu unterstützen.

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Landkreise - kreiszugehörige Städte und Gemeinden

Positionierung, 29.11.2011

Am 5. Oktober 2011 fand in Rodgau die erste Sitzung, am 29.November 2011 in Hoyerswerda die zweite Sitzung einer Facharbeitsgruppe der Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative statt. Dort waren sowohl Kreise als auch kreiszugehörige Städte vertreten. Das vorliegende Positionspapier ist das abgestimmte gemeinsame Produkt der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

1. Grundsätze

Art 28 GG regelt in Abs. 2, dass die Gemeinden das Recht haben „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“. Für die Erfüllung der Aufgaben der Jugendhilfe haben dieLandkreise als Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung (§79,Abs. 1 SGB VIII).

Die derzeitige Diskussion des regionalen Übergangsmanagements ist weitgehend großstädtisch geprägt. Das zeigt sich auch in den Förderprogrammen des Bundes und der Länder oder Erklärungen zentraler Verbände in diesem Feld. Im Fokus stehen Städte, die Gemeinden im Sinne von Art. 28 Abs. 2 GG , aber zugleich auch Sozial- und Jugendhilfeträger, wie auch Schulträger sind. Da die Mehrzahl der Städte und Gemeinden jedoch "kreisangehörig" ist, sollte das besondere Verhältnis zwischen diesen Städten und Gemeinden und deren Landkreise zukünftig verstärkt in den Blick rücken, denn hier stellt sich das Verhältnis von Zuständigkeit und Verantwortlichkeit auf kommunaler Ebene gänzlich anders da.

In den kreiszugehörigen Städten und Gemeinden bilden sich die sozialen Folgen misslungener Übergänge unmittelbar ab. Für die Bearbeitung der individuellen Folgen sind die Kreise als Sozialleistungsträger zuständig. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass kreiszugehörige Städte und Gemeinden und die Landkreise nur gemeinsam in der Lage sind, die mit der Gestaltung des Übergangsmanagements von der Schule in die Arbeitswelt anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Gelingende Übergänge sind sowohl für die jungen Menschen, als auch für die lokale Wirtschaft aber auch für die kreiszugehörigen Städte und Gemeinden und die Landkreise ein Gewinn.

Immer mehr Landkreise und kreiszugehörige Städte werden in diesem Feld aktiv. Landkreise sind unter vielen Aspekten „eine andere Welt“ als die Großstädte. Nah bei den Lebenszusammenhängen sind die kreiszugehörigen Städte, sie kennen die lebensweltlichen Zusammenhänge und Problemkonstellationen von einzelnen Einwohnergruppen und Sozialräumen relativ gut (Bürgernähe), während die Kreisebene im Rahmen von Kreiszuständigkeiten ein Augenmerk auf die Gleichwertigkeit der Bildungsoptionen und Chancen zu richten hat. Ihre Nähe zu den Bürgern/innen drückt sich vor allem dadurch aus, dass sie eine bürgerfreundliche Verwaltung organisiert, in dem die verschiedenen Teilgruppen der Bevölkerung umfassend informiert, ihren Anliegen gerecht werden und auf deren unterschiedliche Lebenslagen durch angemessene Unterstützungen reagiert wird.

Die Koordinierung förderlicher Rahmenbedingungen für die Gestaltung von Bildungsbiografien muss in einem Landkreis deshalb auf beiden Ebenen abgesiedelt sein - der kreislichen und kommunalen - ,, hätte aber durchaus unterschiedliche Aufgaben. Kooperation und Arbeitsteilung „auf gleicher Augenhöhe“ zwischen diesen beiden Koordinierungsebenen ist also eine zentrale Herausforderung bei der Konstruktion der kreislichen und kommunalen Verantwortungsübernahme für die Gestaltung von Bildungsprozessen und Übergängen.

Der Anspruch auf beiden Ebenen, auf „gleicher Augehöhe“ zu agieren, ist dabei nicht als moralischer Appell zu verstehen, sondern bezieht sich auf gemeinsame Zielsetzungen, , Vereinbarungen über die jeweilige Ebene der Verantwortlichkeit für Lösungsmöglichkeiten und die gemeinsame Verantwortungsübernahme für abgestimmte Ergebnisse. Dies schließt für beide Ebenen (Kreis - Städte & Gemeinden) ein Initiativrecht für die Positionierung von erkannten Problemen und die Entwicklung von Handlungsansätzen auch für die jeweils andere „Ebene „ein.

Nach Auffassung der „Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative“ kann dies nur gelingen, wenn sowohl auf der Kreisebene als auch auf der Ebene der einzelnen kreiszugehörigen Städte Handlungskonzepte zur Koordinierung für Bildungsprozesse entstehen bzw. weiterentwickelt werden, die auf die jeweiligen vereinbarten Aufgaben Bezug nehmen und zueinander partnerschaftlich ausgerichtet sind. Dabei wird von dem gemeinsamen Grundverständnis ausgegangen, dass die gemeinsam zu fördernden Bildungsprozesse sich nicht auf den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt begrenzen,, sondern sich auf den biografischen Zeitraum von der frühkindlichen Erziehung/Bildung mindestens bis auf den Zeitpunkt einer stabilen Integration in die Arbeitswelt bezieht. Dies schließt mögliche Umwege und die Bereitstellung „zweiter Chancen“ mit ein. Es wird also konzeptionell ein Biografie begleitender Ansatz verfolgt, der aber in einer abgestimmten Weise durch Priorisierung der Handlungsfelder auf der Zeitschiene bearbeitbar gemacht wird.

Eine Kommunale Verantwortung für Weiterbildung oder Lebenslanges Lernen wird damit abgewiesen,; sie bleibt lediglich zunächst außer Betracht.

Im Wesentlichen kommt es darauf an, dass beide Koordinierungsebenen in enger, kooperativer Anstimmung arbeiten und bedarfsgerecht und .lösungsorientiert (wer kann was zur Zielerreichung beitragen?) nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgebaut sind.

2. Aufgaben des Kreises

Die Kreisebene ist mehr als „Koordinierung“: sie muss als eigene politische Gestaltungs- und Dienstleistungsebene gedacht werden. Allerdings kann dies nicht unabhängig von den lokalen Handlungsstrategien erfolgen, sondern ist unter dem Aspekt von Anschluss. h. in der Verknüpfung von „top down“ und „bottom up“ zu denken. Insofern begreifen sich beide Koordinierungsebenen auch als wechselseitige Ergänzung im Rahmen der gemeinsam verabschiedeten Ziele und Handlungspläne.

Die Arbeitsteilung ist entsprechend der festgelegten Zuständigkeiten zu organisieren.Damit der Grundsatz des „Denkens in Verantwortung statt in Zuständigkeiten“ (Weinheimer Erklärung) umgesetzt werden kann, bedarf es im Sinne von Querschnittsaufgaben insbesondere einer Zusammenarbeit der verschiedenen fachlich organisierten Funktionen (verwaltungsintern). Darüber hinaus ist mit den auf Kreisebene angesiedelten zentralen Partnern eine Kooperation zu vereinbaren(extern). Das Zusammenspiel zwischen den verwaltungsinternen und externen Kooperationspartnern ist eine wichtige „Stellschraube“ für eine Qualitätsentwicklung, die sich kooperativ und diskursiv versteht.

Von der Kreisebene aus ist eine intensive Auseinandersetzung mit den sozialräumlichen Chancenunterschieden der Bevölkerung auch im Bildungsbereich zu führen und es sind entsprechende Strategien für einen Ausgleichsplan zu entwickeln. Diese bedürfen aber der Rückkoppelung mit der lokalen Koordinierung, um kontraproduktive Effekte zu vermeiden.

In dieser Sichtweise von Kooperation zwischen den beiden Koordinierungsebenen wird als eine wichtige Aufgabe der kreislichen Ebene auch die Unterstützungsleistung für jene Gemeinden betrachtet, die (z.B. auf Grund der geringen Einwohnerzahlen) ihre lokale Bildungsgestaltung und Koordinierung ohne eigenes hauptamtliches Personal durchführen müssen.

Die Aufgabe der Koordinierung auf Kreisebene ist es, zu befördern, dass die Verantwortungsübernahme für die chancengerechte Gestaltung der Bildungsbiografien zu einem gemeinsamen Handlungsziel der gesamten Verwaltung wird und dass die Politik über entscheidungsrelevante Grundlagen für eine kontinuierliche Bildungspolitik verfügt. Dabei wird die kooperative gemeinsame Arbeit auf Kreis- und lokaler Ebene als Motor der Qualitätsentwicklung im Rahmen eines weitgefassten Bildungsverständnisses betrachtet.

3. Aufgabe der Städte und Gemeinden

Die kreiszugehörigen Städte und Gemeinden sind primär für die Koordination der lokal agierenden Akteure im Bildungsgeschehen und bei den Übergängen zuständig. Dabei sind sowohl die verwaltungsinternen Fachressorts als auch die externen Partner auf lokaler Ebene einzubeziehen.

Auf der lokalen Koordinierungsebene kommt in diesem Zusammenhang stärker und häufiger als auf der Kreisebene die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements zum Tragen, weil Bürger und Bürgerinnen und auch Vereine sich häufig besonders im Nahraum engagieren. Im Gegensatz zum Kreis bietet die Stadt oder Gemeinde einen Identifikationsraum, in dem man als individueller Bürger/in Einfluss nehmen kann. Deshalb ist die Koordination des bürgerschaftlichen Engagements eher eine Aufgabe der lokalen Ebene.

Aus diesem Grund bezieht sich städtisches oder gemeindliches Engagement für die Koordinierung von Biografie begleitender Bildungs- und Übergangsgestaltung stärker als die Kreisebene auf die Bürgernähe. Bürgernähe bedeutet dabei zweierlei:

erstens, größere Nähe zu den konkreten Lebens- und Bildungsbedingungen im lokalen Politik- und Verwaltungshandeln und zweitens, stärkerer Einbezug bürgerschaftlichen Engagements dort, wo es sich nicht um repräsentative und hoheitliche Beteiligungsverfahren handelt (Stichwort: direkte Partizipation). Insofern beziehen sich die Schwerpunkte der lokalen Koordinierung nicht nur primär auf die lokal zugänglichen Entscheidungen und Verzweigungen, sondern haben es auch mit einem anderen Akteurskreis zu tun als auf der Kreisebene.

Allerdings darf die Betonung der „Besonderheit des Lokalen“ angesichts des demografischen Wandels und des prognostizierten Fachkräftebedarfs nicht dazu führen, dass Bindung und das „Dableiben“ der nachwachsenden Generation „am Ort“ dominiert. Vielmehr muss bei der Qualitätsentwicklung ein ausgewogenes Verhältnis von „lokaler Bindung“ und der Fähigkeit zur Mobilität über die „Stadtgrenzen“ hinaus entwickelt werden. Nur durch eine solche Offenheit wird eine Stadt auch für „Zuwanderer“ oder einpendelnder junger Familien attraktiv.

Ein stärkeres Augemerk auf der lokalen Ebene muss bei der Koordinierung auf einem intensiven und direkten Kontakt mit der lokalen Wirtschaft - und nicht nur ihren Verbänden oder öffentlich-rechtlichen Organisationen der Wirtschaft - gelegt werden. Dies betrifft insbesondere die Zusammenarbeit mit der lokal angesiedelten mittelständischen Wirtschaft und den ortansässigen Handwerksbetrieben, die die kommunale Ebene („Heimat“) als ihren Identifikationspunkt besitzen.

4. Kooperation und Arbeitsweise

Die Zusammenarbeit zwischen den beiden „Koordinierungsebenen“ muss regelhaft und abgestimmt erfolgen. Das bedeutet insbesondere, dass Kooperationsvereinbarungen zwischen Kreis, Städten und Gemeinden so getroffen werden, dass sie ein verlässliches und regelhaftes Verfahren (Prozessorientierung) ermöglichen. Damit wird auch die Nachhaltigkeit der „Aufgabe Koordinierung“ weitgehend unabhängig von personalen Konstellationen der jeweiligen Akteure unterstützt.

Auf den beiden Koordinierungsebenen muss sichergestellt sein, dass die Koordinierung in der Lage ist (fachlich und personell), das fach- und verantwortungsbezogene Zusammenwirken der verschiedenen Dezernate und Fachbereiche des Kreises bzw. der lokalen Kommune zu fördern, weiter zu entwickeln und auch im demokratischen und verwaltungsmäßigen Handeln zur Umsetzung zu bringen. Die Zusammenarbeit zwischen den Koordinierungsebenen wird dadurch zu einer kontinuierlichen Regelaufgabe.

Damit geht es nicht mehr um eine – überdies häufig noch durch Projektförderung begrenzte - Koordinierungsfunktion, sondern um ein Koordinierungssystem, das nachhaltig wirksam ist, und entscheidungsnah sowohl zu politischen Gremien wie zur Verwaltung hin agieren kann.

So unterschiedlich auch die jeweiligen kreislichen und lokalen Bedingungen in der Bundesrepublik sind, wird doch davon ausgegangen, dass in der Kooperation zwischen kreislicher und kommunaler Ebene von einem nach einheitlichen Grundsätzen strukturiertes Koordinierungssystem erreicht werden kann. Dabei wird die konkrete organisatorische und pragmatische Ausgestaltung unterschiedlicher Kreise durchaus differieren.

Die Ausweisung der Koordinierungsfunktionen in den Organigrammen des Kreises und der Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen wird als ein erster und sinnvoller Ausweis des gemeinsam verabredeten Koordinierungssystems zwischen kreislicher und lokaler Ebene angesehen. Damit wird auch der erforderlichen Transparenz Rechnung getragen.

Die gemeinsam vereinbarte regelhafte Arbeitsweise im gesamten Koordinierungssystem folgt dabei zyklisch organisierten Arbeitsaufgaben; d. h. dass für eine bestimmte, festgelegte und zeitlich definierte Periode Handlungsprogramme diskutiert, aufgestellt und verbindlich vereinbart werden, wobei die Handlungspläne auf der Kreisebene und auf der lokalen Ebene im Sinne der geteilten Zielerreichung korrespondieren. Am Ende jeder Periode steht eine Sollbruchstelle im Sinne einer Bilanz und Perspektivdiskussion, an der sich eine Debatte mit der Fachöffentlichkeit knüpft.

Im Rahmen des gemeinsam vereinbarten und nach Ebenen differenzierten Handlungskonzepts finden sich je nach Profil lokale Schwerpunkte und arbeitsteilig vereinbarte Entwicklungsprojekte („einer für alle, alle für einen“).

5. Fazit

Die Facharbeitsgruppe betrachtet die Übernahme kommunaler Verantwortung für Bildung und Übergänge bis in eine stabile Erwerbsperspektive hinein jenseits aller verfassungsrechtlichen Unklarheiten als eine politische Pflichtaufgabe („Nürnberger Erklärung“ der Arbeitsgemeinschaft 2010) der Landkreise und der ihr zugehörigen Städte und Gemeinden. Deshalb sollen die Kreistage aufgefordert werden, das hier entwickelte Positionspapier zu verabschieden und damit entsprechende
Handlungsperspektiven zu ermöglichen.


In dieser Perspektive der kommunalen Verantwortungsübernahme für eine Biografie begleitende Bildungsgestaltung soll sich ein Verständnis entwickeln, dass die kreiszugehörigen Städte und Gemeinden ihren gemeinsamen Landkreis mit seiner politischen Gestaltungs- und Dienstleistungsfunktion als eine Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten verstehen, insbesondere , um noch stärker als bisher und mehr, als es jede einzelne Stadt oder Gemeinde allein vermöchte, Bürgernähe und Bürgerfreundlichkeit gerade im Sinne von Bildung und Begleitung der nachwachsenden Generation zu entwickeln. Dies geschieht nicht nur mit der Intention der Verbesserung der Chancen der Kinder und jungen Erwachsenen, sondern auch deshalb, weil Bildung - auch im ökonomischen Kontext - immer deutlicher als eine Ressource der Kreis- und Stadtentwicklung begriffen wird. Der Aufbau eines kreislich und kommunal abgestimmten Koordinierungssystems leistet dabei einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität aller Bürgerinnen und Bürger.